Von der Biene als Herdentier

Die Biene als Individuum, das Bienenvolk als homogenes Staatsvolk – Anfang des 20. Jahrhunderts ist das der Blick der damals jungen wissenschaftlichen Disziplinen Soziologie und Sozialpsychologie auf die imkerliche Tierhaltung. Davon ist auch die wesensgemäße Imkerei beeinflusst. In meinem Imkerkurs über diese Betriebsweise lehre ich, dass es verboten ist, neue Kolonien aus Waben verschiedener Völker zu bilden. Warum das so ist, wurde mir erst klar, nachdem ich jetzt das Buch von Wilfred Trotter „Herdentiere im Frieden und im Krieg“ (2. Aufl. 1919) gelesen habe.

Für ihn gibt es drei Formen tierischer Herdenbildung: das raubende Rudel (Hunde), die sich kümmernde Herde (Schafe) und das arbeitsteilige, einige, in sich ruhende Volk (Bienen). Trotter schreibt seitenweise über Bienenvölker und vergleicht sie mit modernen Nationalstaaten. Die einzelne Biene sei dumm, der Mensch intelligent. Je intelligenter und diverser die Individuen aber seien, desto mehr strebten sie in ganz unterschiedliche Richtungen. In Krisenzeiten, z. B. im Krieg, der ein evolutionäres „Experiment“ sei, werde dies zum Problem, weshalb Homogenität wünschenswert und überlebenswichtig sei. Er beschreibt, wie es gelingt, „das Individuum in vollständige und seelisch befriedigende Harmonie mit seinen Mitmenschen zu bringen“. Eine Möglichkeit sei die Religion.

Da sind wir dann bei den Menschen angekommen und weit weg von den Bienen.

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